Aufnahme und Bearbeitung von Straßenverkehrsunfällen durch die Polizei

 

RdErl. d. MI v. 12. 4. 2016 – 22.2 -12322/2.1 –

– VORIS 21014 –

 

– Im Einvernehmen mit dem MJ und dem MW –

 

Fundstellen: Nds. MBl. 2016 Nr. 18, S. 532; Nds. Rpfl. 2016 Nr. 6, S. 192

Bezug: RdErl. v. 28. 4. 2015 (Nds. MBl. S. 469)

– VORIS 21011 –

 

Für die Sachverhaltsaufklärung bei Verkehrsunfällen (im Folgenden: VU) und die Verkehrsunfallaufnahme und Bearbeitung (im Folgenden: VUA) gelten die folgenden Bestimmungen:

 

1. Ziele

Die VUA dient

– der Verhütung, Erforschung, Verfolgung und Ahndung von Verkehrsstraftaten und -ordnungswidrigkeiten,

– der Wahrung der Rechtsposition von Unfallbeteiligten zur Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche, wenn ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde,

– der Feststellung ungeeigneter Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführer,

– der Erforschung und Aufklärung provozierter und/oder abgesprochener Schadensereignisse,

– der Datenerhebung für die örtliche Unfalluntersuchung zum Erkennen von Unfallhäufungen und als Grundlage für eine zielgerichtete Verkehrsüberwachung.

Für die Unfallauswertung ist eine hohe Qualität der erfassten statistischen Daten und der Sachverhaltsdarstellung unerlässlich. Nur auf der Grundlage einer breiten Dokumentation von Unfallursachen und -folgen ist eine wirksame Verkehrssicherheitsarbeit von Polizei, Verkehrsbehörden und sonstigen Trägern von Verkehrssicherheitsarbeit möglich.

 

2. Bearbeitung

Der Aufwand polizeilicher Beweissicherung orientiert sich an den Erfordernissen für das Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren und an dem Erkennen, Analysieren und Beseitigen von Unfallhäufungen im Zusammenwirken mit anderen Stellen.

Die Verkehrsunfallbearbeitung erfolgt

– durch eine abschließende VUA vor Ort oder

– im qualifizierten Verfahren.

In Zweifelsfällen ist das qualifizierte Verfahren anzuwenden. Als Entscheidungshilfe für die Abgrenzung ist die in der Anlage abgedruckte Übersicht einzusetzen.

Bei einer Protokollaufnahme ist im Einzelfall zu entscheiden, ob zusätzlich die Begutachtung des Unfallortes erforderlich ist.

 

2.1 Abschließende VUA vor Ort

VU, bei denen

– der Unfallhergang eindeutig ist und die Personalien der Unfallbeteiligten bekannt sind und

– keine Straftatbestände (bei Ordnungswidrigkeiten: Einzelfallentscheidung) vorliegen und

– keine zusätzlichen Beweiserhebungen notwendig sind und

– es sich um sonstige Unfälle handelt, die nach dem StVUnfStatG nur der Summe nach gemeldet werden müssen,

sind unter Verwendung des Vordrucks PolN 223a (Blätter 1 bis 4) vor Ort abschließend zu bearbeiten.

Der Unfallhergang ist auf dem Vordruck gut leserlich, knapp und eindeutig zu schildern sowie grundsätzlich mit einer Pfeilskizze zu ergänzen. Unfallort, Kollisionsstelle, Fahrtrichtung der Fahrzeuge sowie Unfallursache sind genau zu bezeichnen.

Blatt 1 ist als Datenermittlungsbeleg zu verwenden (Verkehrsordnungswidrigkeitenanzeige oder unbare Verwarnung). Wird das Blatt nicht benötigt, so ist es zu vernichten.

Blatt 2 ist für die örtliche Unfalluntersuchung an die zuständige Stelle zu senden, wo es nach erfolgter Auswertung als Durchschrift gemäß Nummer 10 Abs. 2 des Bezugserlasses weiterhin aufzubewahren ist.

Blatt 3 ist der Unfallverursacherin oder dem Unfallverursacher (Beteiligte oder Beteiligter 1) vor Ort auszuhändigen.

Blatt 4 ist der oder dem Geschädigten (Beteiligte oder Beteiligter 2) auszuhändigen. Die Beteiligten sind ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass bei der Polizei kein weitergehender Vorgang entsteht.

 

2.2 Qualifiziertes Verfahren

Alle VU, die nicht durch Nummer 2.1 erfasst werden, sind im qualifizierten Verfahren im Vorgangsbearbeitungssystem (VBS) NIVADIS zu bearbeiten.

 

2.2.1 Bei Verdacht auf Ordnungswidrigkeiten sind Anhörungen grundsätzlich an Ort und Stelle vorzunehmen (siehe Bezugserlass).

 

2.2.2 Bei Verdacht auf Straftaten (minder schwere Delikte und klarer Sachverhalt) sollen Vernehmungen (Kurzvernehmung, Vereinfachtes Ermittlungsverfahren) und Anhörungen möglichst vor Ort erfolgen.

 

2.2.3 VU, bei denen Menschen getötet oder verletzt worden sind, schwerwiegende VU mit Sachschaden oder mit Verdacht auf provozierte oder abgesprochene Schadensereignisse sind wie Tatorte zu behandeln. Die Spurensicherung ist nach den Grundsätzen der PDV 100 Nr. 2.2.3 „Erster Angriff“ und der Anleitung Tatortarbeit „Spuren“ des BKA aufzunehmen.

Die Verkehrsunfallrekonstruktion ist durch Beweissicherungsmaßnahmen zu gewährleisten.

Das heißt insbesondere:

– Eine fotografische Sicherung der Unfallspuren und -schäden ist vorzunehmen, wenn dies zur Rekonstruierung des Unfallhergangs oder zur Beweissicherung erforderlich ist.

– Bei VU mit Getöteten, Schwerverletzten oder VU mit außergewöhnlich hohen Sachschäden ist eine maßstabsgerechte Zeichnung anzufertigen. Die Pflicht zur Dokumentation von erforderlichen Maßen bleibt hiervon unberührt. Alternativ können im Einzelfall Handskizzen mit Maßangaben sowie mit Maßen versehene Lichtbilder oder Übersichtsaufnahmen erstellt werden.

– Sofern eine fotogrammetrische Bildauswertung gewährleistet werden kann, ist die Fotodokumentation entsprechend durchzuführen. Die Anfertigung maßstabsgerechter Planzeichnungen durch eine rechnerunterstützte Auswertung der Lichtbilder ist streng bedarfsorientiert durchzuführen, bei VU mit Getöteten grundsätzlich, mit Schwerverletzten nach jeweiliger Einzelfallentscheidung.

– In Einzelfällen können Sachverständige hinzugezogen werden. Die polizeiliche Unfallbearbeitung wird durch deren Beteiligung weder ersetzt noch in ihrem vorgeschriebenen Umfang gemindert.

Die Voraussetzungen für die analoge Anwendung des Vereinfachten Ermittlungsverfahrens sind zu prüfen.

Bei VU mit Todesfolge – auch bei Alleinbeteiligung – ist der Sachverhalt mit dem entsprechenden NIVADIS-Vordruck der zuständigen Staatsanwaltschaft unverzüglich zu übersenden.

 

3. Akteneinsicht, Auskünfte

 

3.1 Wird die Polizei aus Anlass eines VU zur Verfolgung einer Verkehrsordnungswidrigkeit tätig, so gilt für die Gewährung von Akteneinsicht oder Erteilung von Auskünften aus den Ermittlungsvorgängen bis zur Abgabe des Vorgangs an die Verwaltungsbehörde Nummer 9 des Bezugserlasses.

Bei Verkehrsstraftaten im Rahmen von VU ist die Polizei, solange sie den Vorgang noch nicht an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat, von den Staatsanwaltschaften ermächtigt (§ 478 Abs. 1 Satz 3 StPO), bevollmächtigten Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälten auf Anfrage Auskunft über Name, Anschrift und Kfz-Kennzeichen der Unfallbeteiligten zu erteilen und ihnen darüber hinaus einen Abdruck der Verkehrsunfallanzeige (Blätter 1 bis 4) zur Verfügung zu stellen. Zur Frage der Unfallursache und des Verschuldens darf nicht Stellung genommen werden.

 

3.2 Schließt die Polizei ein Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren im Rahmen der Verkehrsunfallbearbeitung im Verwarnungsverfahren oder durch Einstellung selbst ab, so entscheidet sie auch über die Gewährung von Akteneinsicht und die Erteilung von Auskünften in eigener Zuständigkeit.

 

3.3 Unabhängig von ihrer Funktion in Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren darf die Polizei die Fahrzeug- und Halterdaten, die sie aufgrund der Angaben von Unfallbeteiligten und Geschädigten gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a und Nr. 7 StVO sowie § 142 StGB aufgenommen hat, unter Angabe des Aktenzeichens der Verfolgungsbehörde an Unfallbeteiligte, Geschädigte und deren durch Vollmacht ausgewiesene Vertreterinnen und Vertreter übermitteln.

 

3.4 Bei VU, bei denen kein Verdacht auf eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit besteht, sind Datenübermittlungen nur auf der Grundlage des § 44 Nds. SOG zulässig.

 

4. Schlussbestimmung

Dieser RdErl. tritt am 9. 5. 2016 in Kraft.

 

An die

Polizeibehörden und Polizeidienststellen

Straßenverkehrsbehörden

Bußgeldbehörden

Straßenbaubehörden

Staatsanwaltschaften


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